Interview mit Dr. Susanne Draheim (HAW)

Interview mit Dr. Susanne Draheim, HAW und Forschungs- und Transferzentrums „Smart Systems“ (FTZ).

Interview Dr Susanne Draheim Titelbild mit Profilbild

Hallo Susanne! Schön, dass du dir für dieses Interview ein wenig Zeit nimmst und uns ermöglichst, eine weitere Perspektive auf Künstliche Intelligenz, Technologie, Pflege und andere gesellschaftliche Themen zu bekommen.

Ein harter Einstieg zu Anfang, und vielleicht eine der wichtigsten Fragen in der jetzigen Zeit. Wie ist deine Meinung zu Künstlicher Intelligenz? Was begeistert dich und was nicht?

Mich fasziniert KI schon seit Beginn meines Studiums, und das war in den 1990er Jahren. Aufgrund meiner sozial- und kulturwissenschaftlichen Ausbildung hat mich zuerst die anthropologische und psychoanalytische Perspektive auf Technikentwicklung interessiert, also mit Käte Meyer-Drawe die „Spiegelungsnotwendigkeit des Menschen in seinen Maschinen“ oder die menschliche „Scham angesichts der Perfektion seiner eigenen technischen Schöpfungen“ (Günther Anders).

Kurzum: ich war zunächst kritisch-distanziert eingestellt. Seitdem ich mit Informatikerinnen und Informatikern zusammenarbeite, von denen einige selbst im breiten wissenschaftlichen Feld der Künstlichen Intelligenz aktiv sind, habe ich einerseits viel darüber gelernt, was sich konzeptionell und technologisch hinter KI verbirgt und andererseits immer wieder darüber diskutiert, wie sich der Prozess der KI-Entwicklung mit seiner gesellschaftlichen Aneignung verzahnen sollte, um nicht wünschenswerte Folgen und Risiken rechtzeitig zu erkennen und abzumildern. Aktuell mache ich mir angesichts der rasanten Entwicklung der großen Sprach- und Transformer-Modelle wie Chat-GPT4 etwas Sorgen, da die Geschwindigkeit der Technologieentwicklung derzeit sehr hoch ist, ebenso wie das Streben der beteiligten Unternehmen nach innovativer Produktentwicklung, wohingegen die Reichweite der möglichen sozialen, juristischen, ökonomischen und nicht zuletzt geopolitischen Konsequenzen noch reichlich wolkig bleibt.

Welche Möglichkeiten siehst du für neue Technologien wie diese und welche Anwendungsfelder kommen für Dich in Frage?

Grundsätzlich bin ich schon begeistert von den aktuellen Sprach- und Bildverarbeitungs- modellen wie sie z.B. in Übersetzungstools wie DeepL oder in „language-to-image“- Applikationen wie DALL-E vorkommen. Auch die Fortschritte im Bereich der „Computervision“, wozu ja auch die Emotionserkennung gehört, sind sehr beeindruckend. Gleichwohl ist gerade bei der Emotionserkennung der behutsame und möglichst transparente Einsatz in den Anwendungsfeldern gefragt, um für breite gesellschaftliche Akzeptanz zu sorgen.

Du hast die Möglichkeit gehabt, unser Produkt BEJOY zu testen! Was hat Dir besonders gefallen?

Mir gefällt, dass die Anwendung für die Benutzerinnen und Benutzer komplett an der Wahrnehmungsperipherie bleiben kann, sie also nicht stört oder verunsichern kann, sondern in den Alltag eingebettet funktioniert – als „Calm Technology“ (Weiser/Brown 1995). Für Benutzerinnen und Benutzer, die mit digitalen Technologien und Geräten wie Smartphone oder Tablet grundsätzlich nicht vertraut sind, ist dies ein großer Vorteil, da sie einzig durch Blickkontakt mit der Anwendung verbunden sein können.

Welcher (Mehr-)Wert ergibt sich durch die BEJOY? Fühlst du Dich durch die Verwendung etwas sicherer, flexibler oder hast Du ein anderes Gefühl?

Als pflegende Angehörige auf Distanz ist BEJOY für mich eine aussichtsreiche Möglichkeit des qualitativen Kontakthaltens, ohne dabei professionell Pflegende einbinden zu müssen. Es geht mir persönlich weniger um Kontrolle und Sicherheit als darum, zwischen den Telefonaten und Besuchen in der Pflegeeinrichtung mehr vom emotionalen Alltag meiner Eltern mitzubekommen und je nach Situation emotionale Unterstützung anbieten zu können.

Unser Produkt ist ein gutes Hilfsmittel, um Interaktion zu stärken und psychischer Belastung entgegenzuwirken. Welche Sorgen und Gedanken siehst du momentan in der Gesellschaft? Welcher Belastungen sind wir tagtäglich ausgesetzt und wie können wir diesen begegnen?

Wie ich weiter oben schon ausgeführt habe, finde ich die hohe Innovationsgeschwindigkeit, mit denen aktuell in bestimmten Weltteilen KI-Sprachmodelle entwickelt werden beunruhigend, zumal sich die Berichterstattung darüber häuft, dass aufgrund des Konkurrenzdrucks zwischen den Global Playern (Microsoft, Google, Apple etc.) von den zuvor aufgebauten internen Entwicklungsprozessen, die auf ethische und soziale Folgeerwägungen ausgerichtet waren, abgewichen wird, um die Produktentwicklung noch zu beschleunigen. Leider sind die Möglichkeiten hier mit wissenschaftlichen Mitteln einzugreifen, ziemlich begrenzt, wie jüngst Cognitive Scientist Geoffrey Hinton in einem Interview mit der New York Times ausführte.

Welche Projekte verfolgst du gerade und was steht in näherer Zukunft an? Wo wird dir Emotionserkennung und dessen Analyse weiterhelfen?

Sozialrobotik als Companion-Technologie (z.B. Pepper, Moxie oder Paro) für jüngere und ältere Zielgruppen finde ich sehr spannend, wenngleich es hier wichtig ist, hilfreiche von weniger guter Unterstützung zu unterscheiden. So kann Pepper ein prima Tutor für Hausaufgaben sein oder Paros Gegenwart sich beruhigend auf Demenzkranke auswirken, aber ob Moxie tatsächlich in der Lage ist, soziale Kompetenzen an Grundschulkinder zu vermitteln, ist empirisch noch nicht ganz geklärt.

Welches Buch muss man gelesen haben, hast du eine Empfehlung? Oder ein bestimmter Podcast, den du empfiehlst?

Tatsächlich möchte ich einen Roman zum zukünftigen Umgang mit KI im Alltag empfehlen: „Klara and the Sun“ von Kazuo Ishiguro, erschienen 2021. Es geht in einem Near Future-Szenario um einen artifiziellen Begleiter, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Scary 🙂 !

▶︎ Interview mit Kazuo Ishiguro

Zu Dr. Susanne Draheim:

Dr. Susanne Draheim ist Geschäftsführerin des Forschungs- und Transferzentrums „Smart Systems“ der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) mit den Laboren „Living Place Hamburg“ und „Creative Space for Technical Innovations“ (CSTI). Derzeit arbeitet sie an Themen wie Human-Computer-Interaction, Digitale Transformation, Companion Technology, Maschinenethik und Kritische Theorie.

Sie hat Erziehungs- und Angewandte Kulturwissenschaften an der Universität Lüneburg (heute Leuphana) studiert und promovierte 2011 in Soziologie an der Technischen Universität Dresden mit einer diskursanalytischen Arbeit über die Hochschulreform nach Bologna. Seit mehr als 20 Jahren ist sie in der Informatikausbildung und angewandten Forschung an der Schnittstelle zwischen Technikentwicklung und ihren gesellschaftlichen Konsequenzen tätig.

An der Technischen Hochschule Brandenburg arbeitete sie zehn Jahre in Studienreformprojekten und angewandter Forschung im Fachbereich Informatik & Medien, von 2010-2015 war sie als Referentin in der Abteilung für Studium und Lehre der Präsidialverwaltung der Universität Hamburg tätig, 2013 begann sie ihre Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HAW Hamburg im BMBF-geförderten Projekt „Fit für soziale Netzwerke: Neue Studienformate und Zielgruppen an der HAW Hamburg – FIT weiter“. Von 2015-2019 war sie maßgeblich am Aufbau des Forschungs- und Transferlabors „Creative Space for Technical Innovations“ (CSTI) und des FTZ Smart Systems beteiligt.

Mehr zu Dr. Susanne Draheim gibt es hier:

▶︎ https://smsy.haw-hamburg.de/
▶︎ https://csti.haw-hamburg.de/susanne-draheim/

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